Eine Geschichte der Malerei ohne Abbildungen!
Kugler, Franz: Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen, 3 Bde., 3. Aufl. Nach der von Dr. Jacob Burckhardt besorgten zweiten Auflage neu bearbeitet und vermehrt von Hugo Freiherrn von Blomberg, Leipzig: Duncker und Humblot, 1867
Foto: Marlène Heinzinger
1837 veröffentlicht Franz Kugler sein Werk „Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen“ in 2 Bänden. Damit wurde eines der ersten Überblickswerke in der sich gerade formierenden universitären Wissenschaft der Kunstgeschichte veröffentlicht. Sein Verfasser Franz Kugler, Professor an der Berliner Akademie der Künste, erwarb sich in den folgenden Jahren besonders als Handbuchautor großen Ruhm. Es erschienen u.a. das Handbuch der Kunstgeschichte (1842) und die Geschichte der Baukunst (1856-1873).
Kuglers Handbuch der Malerei ist in der Frankfurter Kunstbibliothek in der dritten Auflage von 1867 vorhanden und binnen 30 Jahren nach der Erstauflage auf 3 Bände angewachsen. Kein Geringerer als Jacob Burckhard, ein Schüler von Franz Kugler, besorgte die Neuauflage von 1847 und Freiherr von Blomberg hat schließlich die neu bearbeitete und vermehrte 3. Auflage, die hier vorliegt, herausgegeben.
Es ist auffällig, dass diese Gattungsgeschichte, außer einem Porträt Franz Kuglers, über keinerlei Abbildungen verfügt. Die Einordnung der vielfältigen Zeugnisse der Malerei in verschiedene Schulen und die damit verbundene Orientierungshilfe für den Leser erfolgte einzig und allein über das Wort. Das lag 1867 sicherlich nicht am Mangel technischer Möglichkeiten. Womöglich war der Verzicht auf illustrierende Abbildungen, dem Be-wusstsein der Autonomie der Reproduktion gegenüber dem Original geschuldet. Jedes eingesetzte Medium zur Dokumentation oder Erklärung des Kunstwerks besitzt bereits qua seiner Materialität eigene Qualitäten und hat damit auch eine eigene Aussagekraft. Ein Aspekt, den die moderne Medientheorie wieder aufgegriffen hat.
Anschauungsmaterial für kunsthistorische Seminare und ein Pferd ohne Kopf
Gurlitt, Cornelius, Die Baukunst Frankreichs, Dresden:
Gilbers'sche Verlagsbuchhandlung, 1850-1938, Taf. 40
Foto: Marlène Heinzinger
In den frühen Jahren der kunstgeschichtlichen Lehre waren großformatige Mappenwerke mit großen Abbildungen beliebt. Sie konnten in den Veranstaltungen so gezeigt werden, dass mehrere Seminarteilnehmer die Reproduktion betrachten konnten. Die einzelnen Blätter waren lose und daher, je nach Lehrinhalten, flexibel zusammenstellbar. Aber auch gebundene großformatige Werke wurden skrupellos auseinandergenommen, um eigene Ordnungsprinzipien wiederzugeben, nach Epochen, Schulen, ikonografischen Themenbereichen etc.
Zunächst beherrschten Reproduktionsverfahren wie z. B. der Kupferstich oder die Lithographie den Markt. Der Einzug der Fotografie in die kunsthistorische Lehre war bahnbrechend, aber zu Beginn nicht reibungslos verlaufen. Sie wurde zunächst nicht als künstlerische Praxis anerkannt und damit wurde ihr die emphatische Beziehung zum Werk abgesprochen. Schließlich überzeugte aber die vermeintlich objektive Wiedergabe des Kunstwerks durch die Fotografie. Welchen Einfluss der Einsatz der Fotografie auf die Wahrnehmung des Kunstwerks hatte und damit auf den Fortgang kunsthistorischer Wissenschaft lässt sich heute nur ansatzweise nachvollziehen, da der Umgang mit fotografischen Reproduktionen seit über 100 Jahren zur kaum mehr hinterfragten, alltäglichen Praxis gehört.
Unsere ausgewählte Abbildung (Tfl. 40) befindet sich im Mappenwerk „Die Baukunst Frankreichs“ von dem Kunsthistoriker und Kunstsammlers Cornelius Gurlitt (Vater des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt). Sie zeigt den Chor von Saint-Pierre in Caen, eines der Hauptwerke von Hector Sohier, mit seinen reichen dekorativen Überformungen des gotischen Bauwerks. Die Szene im Vordergrund der Tafel 40 lenkt allerdings ab. Durch die langen Belichtungszeiten der frühen Fotografie entstanden häufig Geisterbilder. In unserem Beispiel gibt das Pferd ohne Kopf Anlass zu eigenen phantasievollen Bildgeschichten.
Bildhunger und Expansion des Druck- und Verlagswesens im 19. Jh.
Zeichensaal des Verlages Eduard Hallberger 1878, Zinkätzung nach einem Holzstich, Abbildung aus: Katharina Krause, Katharina (Hrsg.): Bilderlust und Lesefrüchte, Leipzig 2005, hier: S. 51, Abb. 33
Im 19. Jh. fand eine regelrechte Revolution im Druckwesen statt. Eine technische Neuerung jagte die andere und lieferte so für die bildorientierte Kunstgeschichte immer mehr Material und Möglichkeiten für Forschung und Lehre. Um kostengünstiger produzieren zu können, gingen viele Verlage im 19. Jh. dazu über, eigene Werkstätten zu unterhalten.
Die hier in der Abbildung gezeigte Räumlichkeit gehörte dem Verlag E. H. in Stuttgart, eine der größten Holzstechereien Deutschlands. Die zahlreichen Arbeitsplätze für die Xylographen und die durch Trennwände separierten Ateliers der ‚Artisten“ zeugen von der boomenden Branche und der Wertschätzung ihrer Arbeit. Der Firmenchef Eduard Hallberger setzte bei seinen Produkten verstärkt auf das illustrierende Bild und war mit den, von ihm herausgegebenen Illustrierten, sehr erfolgreich. Schließlich ermöglichte erst der Holzstich die Herstellung von detaillierten Abbildungen in großer Stückzahl. Ein weiterer Vorteil war, dass nun anders als beim Kupferstich, Text und Bild gemeinsam im Hochdruckverfahren hergestellt werden konnten.
Weitere technische Entwicklungen, allen voran die neuen fotomechanischen Druckverfahren, die noch effizienter waren und noch detailgetreuere Abbildungen wiedergeben konnten, lösten den Holzstich Ende des 19. Jahrhunderts ab.
Nichts geht über das Original? Handzeichnungen des Städels und ihre Reproduktionen
Handzeichnungen alter Meister im Städelschen Kunstinstitut,
originaltreue Lichtdrucke, hrsg. von der Direktion des Städelschen
Kunstinstituts, Lieferung 1-6, Frankfurt a. M.: Selbstverlag, 1908/10
Foto: Marlène Heinzinger
Einer der Gründe warum kunstgeschichtliche Seminare in ihren Anfangsjahren häufig an Kunstsammlungen angeschlossen wurden, lag sicherlich in der unmittelbaren Nähe zum Anschauungsmaterial, so war auch das Kunsthistorische Seminar in Frankfurt zu Beginn innerhalb des Städelschen Kunstinstituts untergebracht.
Dennoch gab es Bestände, die besonderen Schutz benötigten, so zum Beispiel die äußerst sensiblen Blätter der Handzeichnungen alter Meister. Die Direktion des Städels sah sich deshalb zu einem Lieferwerk mit Reproduktionen derselben veranlasst. Die Herausgeber der Blätter, die seit 1908 erschienen, versprachen originaltreue Abbildungen, hergestellt im zu dieser Zeit sehr beliebten Lichtdruck. Bei dieser Methode handelt es sich um ein fotomechanisches Flachdruckverfahren. Auf eine Glasplatte mit einer Chromgelatineschicht wird durch Lichteinwirkung ein fotografisches Halbton-Negativ kopiert. Die so hergestellten Druckplatten ermöglichten hochwertige und relativ kostengünstige Reproduktionen. Die Originale wurden vor allzu häufiger Benutzung geschont, während gleichzeitig die Kunstwerke bzw. ihre Reproduktionen eine weite Verbreitung im In- und Ausland erhielten - eine werbewirksame Aktion vieler Kunstgalerien.
Der technische Fortschritt war aber nicht aufzuhalten: auch der Lichtdruck wurde schnell durch andere Verfahren verdrängt, Ende des 19 Jh. stellte er aber eine revolutionäre Entwicklung in den Reproduktionstechniken dar, da ohne Rasterungen Halbtonbereiche wiedergegeben und große Auflagen gedruckt werden konnten.
Big is beautiful: Mappenwerke in der Lehre
Heinrich Weizsäcker, Die Kunstschätze des ehem. Dominikanerklorster in
Frankfurt a. M., Tafelband, 45 Bl., München: F. Bruckmann A.-G., 1923
Foto: Marlène Heinzinger
Mappenwerke wie diese zu den Kunstschätzen des ehemaligen Dominikanerklosters wurden um 1900 auch für die Lehre der Kunstgeschichte eingesetzt, denn sie ermöglichten durch ihr Größe das Anschauen von Bildern mit mehreren Personen ohne Lichtbildprojektion. Neben dem größeren Format sind für Mappenwerke die losen Blätter kennzeichnend. Meistens werden die Abbildungen noch durch eine Begleitpublikation ergänzt, so auch bei dieser Mappe, deren Textband von Heinrich Weizäcker verfasst ist. Trotz der teilweise schlechten Abbildungsqualität können diese Werke auch heute noch als wichtiges Quellenmaterial dienen, denn sie zeigen unter anderem den damaligen Zustand der Kunstwerke und lassen so Veränderungen am Werk nachvollziehen sowie Restaurierungen datieren.
Zur Farbigkeit von Abbildungen
Abbildungen des Frankfurter Dominikaneraltars,
Außenseite (Wurzel-Jesse und Dominikaner-Stammbaum)
Ein Werk, vier Versionen: Auf der Suche nach der passenden Reproduktion eines Werkes stößt man häufig auf Abbildungen unterschiedlichster Farbigkeit. Hier in diesem Beispiel ist es gut nachzuvollziehen, wie dasselbe Kunstwerk, Hans Holbeins Wurzel-Jesse-Darstellung aus der ehemaligen Frankfurter Dominikanerkirche, in Publikationen mit teilweise sehr voneinander abweichender Farbigkeit gezeigt wird: Gelbstich, Blaustich, Rotstich, Grünstich – aber welche Abbildung entspricht am ehesten dem Original? Diese Frage lässt sich letztlich nur durch einen direkten Vergleich mit – oder besser: vor – dem Original beantworten. Der Grund für dieses breite Spektrum in der reproduzierten Farbigkeit eines Werkes ist unter anderem häufig in der Drucktechnik zu finden. Da in der digitalen Welt oft Reproduktionen ebenso nach gedruckten Vorlagen produziert werden, finden wir dieses Phänomen auch hier.
Abbildungen aus: Cilleßen, Wolfgang P. (Hrsg.): Der Annenaltar des Meisters von Frankfurt, Kunststücke des Historischen Museums Frankfurt, Bd. 2, Frankfurt am Main 2012, S. 55, Abb. 42 (links oben); Samm.kat. Deutsche Gemälde im Städel 1500–1550, hrsg. von Bodo Brinkmann und Stephan Kemperdick, Mainz 2005, S. 388, Abb. 324 (links unten); Samm.kat. Alte Meister 1300–1800 im Städel Museum, hrsg. von Gabriel Dette und Jochen Sander, Ostfildern 2011, S. 35 (rechts oben); Ausst.kat. Hans Holbein d. Ä. Die Graue Passion in ihrer Zeit, Staatsgalerie Stuttgart (Stuttgart), Ostfildern 2010, S. 151, Abb. 124 (rechts unten).
Nach dem Original, nah dem Original:
Grafische Reproduktionen in kunstgeschichtlichen Lehrbüchern
Verschiedene Reproduktionen zu den beiden Madonnendarstellungen des Holbein-Streites
Foto: Marlène Heinzinger
Kunst muss gesehen werden – das wissen Kunsthistoriker*innen bereits seit der Etablierung ihres Faches als wissenschaftliche Disziplin. In Hausarbeiten, Abschlussarbeiten und anderen Abhandlungen sind Abbildungen der Kunstwerke ein wesentlicher Bestandteil. Sie können veranschaulichen und bekräftigen oder den Blick auf ein Thema überhaupt erst freilegen. Um Kunstwerke in wissenschaftlichen Texten abzubilden, greifen wir heutzutage auf hochwertige fotografische Aufnahmen zurück, die uns als Digitalisate unterschiedlicher Qualität in zahlreichen virtuellen Datenbanken zur Verfügung stehen. Das ist ein ‚Luxus‘, den es der fortschreitenden Digitalisierung zu danken gilt. Doch wie bildete man Kunstwerke in Zeiten ab, in denen es diesen technischen Fortschritt nicht gab? Im 19. Jh. geschah dies durch grafische Reproduktionen der Originale, d.h. eine auf die größtmögliche Ähnlichkeit zum Original angelegte Kopie.
Die grafische Abbildung in den frühen kunstgeschichtlichen Lehrbüchern nimmt eine doppelte Funktion ein: Sie begleitet illustrativ den Text und bezeugt, was das Original von seinem fernen Standpunkt aus nicht kann. Die Ähnlichkeit zum Original ist immer nur so groß, wie der jeweilige reproduzierende Künstler sie zu erzeugen vermag. Im Falle der hier gezeigten Beispiele wird deutlich, dass die Zuverlässigkeit dieser Ähnlichkeit nicht gegeben ist. In Dehios Geschichte der deutschen Kunst (links oben) ist die Ergänzung durch einen fiktiven Rahmen zugleich eine Entfremdung der Reproduktion gegenüber dem Original. Die Reproduktionsstiche der Darmstädter und Dresdner Madonnen in der Publikation von Lübke (rechts unten) unterscheiden sich in mehreren Details von den beiden Kopien, die Werthmann 1872 anfertigte (rechts oben). Dennoch gibt es keinen Zweifel daran, dass alle vier Versionen in den Publikationen authentische Stellvertreter der Originale sein sollen. Auch Baders Gegenüberstellung in ihrer 2013 publizierten Dissertation (links unten) veranschaulicht eindringlich, wie sehr alle Reproduktionen trotz ihrer minutiösen Verschiedenheit an ein gemeinsames Vorbild erinnern. Dass die Erinnerung an ein Original der kunstgeschichtlichen Lehre lange Zeit ausreichte (und oft noch ausreicht), zeigt zugleich, dass sich das Verhältnis von Lehre und Original über die Reproduktionsgrafik definieren ließ. Und das ist interessant, da es doch in den hier dargestellten Vergleichen um den Präzedenzfall in der Frage nach Originalität und Echtheit geht, nämlich dem sog. Holbein-Streit in den 1870er-Jahren. Jener Streit ist überhaupt erst durch die Kopie von Holbeins Werk entstanden. In einem fachlichen Selbstverständnis hat die Kunstgeschichte im Zuge dieses Streites eben jenes Kopieren von Werken zu Lehrzwecken instrumentalisiert.
Literatur:
Bader, Lena: Bild-Prozesse im 19. Jahrhundert. Der Holbein-Streit und die Ursprünge der Kunstgeschichte, München 2013.
Bader, Lena: Faitiches der Kunstgeschichte. Ein deutsch-französischer Dialog über wiederkehrende Bildphänomene und andere Phantome, URL: http://degustibus-ebmeier.blogspot.com/2015/12/der-holbein-streit-und-der-anfang-der.html (zuletzt aufgerufen: 19.10.2020).
Bätschmann, Oskar: Der Holbein-Streit. Eine Krise der Kunstgeschichte, in: Jahrbuch der Berliner Museen, Bd. 38 (Beiheft "Kennerschaft"), Kolloquium zum 150sten Geburtstag von Wilhelm von Bode, Berlin 1996, S. 87–100.
Reproduktionen aus: Dehio, Georg: Geschichte der deutschen Kunst, Bd. 3, Berlin 1926, S. 130–131, Abb. 151 und 152: Reproduktionsstiche der Darmstädter Madonna (links oben); Lena Bader: Bild-Prozesse im 19. Jahrhundert. Der Holbein-Streit und die Ursprünge der Kunstgeschichte, Paderborn 2013, S. 164–165, Abb.47: Vergleichende Gegenüberstellung der Holbein-Madonna (links unten); Ausst.kat. Hans Holbeins Madonna im Städel. Der Bürgermeister, sein Maler und seine Familie, Städel Museum (Frankfurt am Main), Petersberg 2004, S. 20–21, Abb. 10 und 11, links: Kopie der Darmstädter Madonna (Werthmann nach Holbein, Nachstich) 1872, rechts: Kopie der Dresdner Madonna (Werthmann nach Sarburgh, Nachstich) 1872 (rechts oben); Lübke, Wilhelm: Grundriss der Kunstgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1876, S. 330–331, Abb. 463 und 464: Reproduktionsstiche der Darmstädter Madonna und der Dresdner Kopie (rechts unten).